Ist Farbenblindheit genetisch bedingt und wie wird sie vererbt?

Farbenblindheit, auch bekannt als Farbsehschwäche (Color Vision Deficiency, kurz CVD) oder Daltonismus, ist eine Sehstörung, die durch die Unfähigkeit oder verminderte Fähigkeit zur Wahrnehmung bestimmter Farben gekennzeichnet ist.
Die Farbwahrnehmung beruht auf spezialisierten Fotorezeptorzellen, die sogenannten Zapfenzellen, die sich in der Netzhaut des Auges befinden. Diese Zapfenzellen enthalten Sehpigmente, die auf unterschiedliche Wellenlängen des Lichts reagieren und die Wahrnehmung verschiedener Farben ermöglichen.

Zapfen (6 bis 7 Millionen) sind verantwortlich für die Sehschärfe des menschlichen Auges, die Fähigkeit, kleine Details eines Objekts aufzulösen und zu erfassen, sowie für die Unterscheidung von Farben. Sie konzentrieren sich auf den kleinen zentralen Teil der Netzhaut, bekannt als Fovea Centralis, mit einem Durchmesser von 0,3 Millimetern und ohne Stäbchen.
Es gibt drei primäre Arten von Zapfenzellen, von denen jede eine bestimmte Art des Proteins Opsin enthält, das seine Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Wellenlängen des Lichts bestimmt:

  1. Langwellen-Zapfen (L-Zapfen oder Rotzapfen) enthalten das Protein Opsin, das als LW-Opsin (L-Opsin) oder rotes Sehpigment bekannt ist. Diese Zapfen sind in erster Linie für die Wahrnehmung roter Farben verantwortlich und am empfindlichsten für lange Lichtwellenlängen.
  2. Mittelwellen-Zapfen (M-Zapfen oder Grünzapfen) enthalten das Protein Opsin, das als MW-Opsin (M-Opsin) oder grünes Sehpigment bezeichnet wird. M-Zapfen sind auf die Wahrnehmung grüner Farben spezialisiert und reagieren am empfindlichsten auf mittlere Lichtwellenlängen.
  3. Kurzwellen-Zapfen (S-Zapfen oder Blauzapfen) enthalten das Protein Opsin, das als SW-Opsin (S-Opsin) oder blaues Sehpigment bekannt ist. Diese Zapfen sind in erster Linie für die Wahrnehmung blauer Farben verantwortlich und am empfindlichsten für kurze Lichtwellenlängen.

Die Funktionsfähigkeit aller drei Zapfentypen ist erforderlich, um eine normale Farbwahrnehmung zu ermöglichen. Rote und grüne Zapfen machen 95 % der Zapfen in der Fovea aus, während blaue Zapfen nur 5 % ausmachen.

Netzhaut (Draufsicht) – zapfenreiche Fovea Centralis

Das Gehirn verarbeitet und integriert Signale aus den verschiedenen Arten von Zapfenzellen, um ein umfassendes Spektrum der Farbwahrnehmung zu erzeugen.

Bei Menschen mit Farbenblindheit können genetische Mutationen oder Veränderungen in den Genen, die für die Kodierung dieser Proteine (Opsine) verantwortlich sind, zu Anomalien in der Zapfenzellenfunktion führen. Dies kann zu Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Farben oder andersartiger Wahrnehmung von Farben im Vergleich zu einer normalen Farbwahrnehmung führen, je nachdem, welches Opsin betroffen ist.

Prävalenz und Ursachen

Farbenblindheit kann unterschiedliche Ätiologien haben, einschließlich genetischer und umweltbedingter Faktoren. Die vorherrschende Ursache sind typischerweise vererbbare genetische Mutationen, welche jene Gene beeinflussen, die für die Erzeugung von Sehpigmenten innerhalb der Zapfenzellen verantwortlich sind.

Die Molekulargenetik der menschlichen Farbwahrnehmung untersucht die Gene, die blaue, grüne und rote Pigmente kodieren [7,8].

Das Gen, das für die Bildung des blauen Sehpigments verantwortlich ist, befindet sich auf Chromosom 7. Tritanopie, eine Form der Dichromasie aufgrund mangelnder Funktionalität von Blauzapfenzellen in der Netzhaut, hat eine autosomal-dominante Vererbung. Dies bedeutet, dass nur eines der beiden Chromosomen 7 eine Mutation tragen muss, um die Funktionalität der S-Zapfen zu beeinträchtigen. 

Gene, die für die L- (langwelligen) und M- (mittelwelligen) Sehpigmente verantwortlich sind, befinden sich unmittelbar auf dem X-Chromosom. Insbesondere kommt Farbenblindheit gegenüber Rot und Grün häufiger bei Männern (XY) vor, als bei Frauen (XX). Da Männer (XY) nur ein X-Chromosom besitzen, neigen sie eher zu Farbenblindheit, wenn sie einen Defekt in ihren Genen haben. Frauen (XX) haben hingegen zwei X-Chromosomen, sodass, selbst wenn eines der beiden X-Chromosomen ein defektes Gen trägt, für die X-Inaktivierung das nicht defekte Gen auf der anderen Seite exprimiert wird.

Arten der Farbenblindheit

Farbenblindheit kann je nach den jeweiligen Zapfen und Opsinen in verschiedene Typen unterteilt werden. Typischerweise sind Menschen Trichromaten, d. h. sie besitzen alle drei Arten von funktionellen Zapfenzellen (L, M und S) in ihrer Netzhaut, wodurch sie ein breites Spektrum von Farben wahrnehmen können.

Normale Farbwahrnehmung

Protanopie

Deuteranopie

Tritanopie

Blauzapfenmonochromasie

Achromatopsie

Dichromasie ist gekennzeichnet durch Individuen, die nur zwei funktionstüchtige Arten von Zapfenzellen in ihrer Netzhaut besitzen, anstatt die typischen drei. Es gibt drei Haupttypen der Dichromasie, die durch die Unfähigkeit gekennzeichnet sind, bestimmte Farbenpaare zu unterscheiden:

  1. Protanopie: Bei Menschen mit Protanopie ist die Funktion der roten Zapfenzellen in der Netzhaut abwesend, was zu Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Rot und Grün führt. Protanopie ist auf das Fehlen des roten Sehpigments zurückzuführen, das durch eine Mutation auf den X-Chromosom-Opsin-Genen verursacht wird. Das Muster der Vererbung ist X-chromosomal rezessiv.
  2. Deuteranopie: Bei Menschen mit Deuteranopie ist die Funktion der grünen Zapfenzellen in der Netzhaut abwesend, was zu Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Rot und Grün führt. Deuteranopie ist auf das Fehlen des grünen Sehpigments zurückzuführen, das durch eine Mutation auf den X-Chromosom-Opsin-Genen verursacht wird. Das Muster der Vererbung ist X-chromosomal rezessiv.
  3. Tritanopie: Bei Menschen mit dieser Form von Dichromasie ist die Funktion der blauen Zapfenzellen in der Netzhaut abwesend, was zu Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Blau und Gelb führt. Sie tritt im Vergleich zu Protanopie und Deuteranopie viel seltener auf. Tritanopie ist auf das Fehlen des blauen Sehpigments zurückzuführen, das durch eine Mutation auf dem Gen S-Opsin auf dem Chromosom 7 verursacht wird. Das Muster der Vererbung ist autosomal-dominant.

 

Bild von http://www.neitzvision.com/

Anomale Trichromasie ist die häufigste Form der Farbsehschwäche, bei der Menschen drei Arten von Zapfenzellen haben, aber einer oder mehrere dieser Zapfentypen eine abnormale Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Wellenlängen des Lichts aufweisen. Infolgedessen haben Individuen mit anomaler Trichromasie Schwierigkeiten, zwischen bestimmten Farben, insbesondere Rot- und Grüntönen, zu unterscheiden. Während Dichromasie und anomale Trichromasie Veränderungen in der Farbwahrnehmung darstellen, weisen die davon betroffenen Personen i. A. eine relativ normale Sehschärfe auf, die i. d. R. anhand der Skala 20/20 bewertet wird.

Schließlich gibt es Monochromasien, die erbliche Netzhauterkrankungen sind. Zu den Symptomen zählen schwere Sehstörungen mit Verlust der Sehschärfe, Nystagmus, Photophobie und schwache oder abwesende Farbdiskriminierung.

Blauzapfen-Monochromasie tritt auf, wenn eine genetische Mutation das Fehlen von roten und grünen Sehpigmenten verursacht. Dabei ist die Farbwahrnehmung stark beeinträchtigt, und das Sehen bei Tageslicht erfolgt mit S-Zapfen und -Stäbchen. Die Sehschärfe reicht von 20/60 bis 20/200. Menschen mit Blauzapfen-Monochromasie leiden an Lichtempfindlichkeit und Photophobie, sehr oft an Kurzsichtigkeit und Nystagmus. Nystagmus entwickelt sich in den ersten Wochen nach der Geburt und hält bei fast der Hälfte der Menschen bis ins Erwachsenenalter an. Blauzapfen-Monochromasie ist auf Mutationen der Gene OPN1LW und OPN1MW auf dem X-Chromosom zurückzuführen und ist eine X-chromosomale Erkrankung.

Zapfen-Monochromasie, auch Achromatopsie genannt , stellt die schwerste Form der Farbenblindheit dar. In diesem Zustand ist keine der Zapfenzellen funktionsfähig. Achromatopsie ist eine seltene genetische Erkrankung [11], die durch eine verminderte Sehschärfe, Pendelnystagmus, erhöhte Lichtempfindlichkeit (Photophobie), ein kleines zentrales Skotom, exzentrische Fixation und einen reduzierten oder vollständigen Verlust der Farbdiskriminierung gekennzeichnet ist. Alle Personen mit Achromatopsie haben eine beeinträchtigte Farbdiskriminierung. Hyperopie tritt häufig im Zusammenhang mit Achromatopsie auf. Nystagmus entwickelt sich in den ersten Wochen nach der Geburt, mit darauffolgender Lichtempfindlichkeit. Die Sehschärfe variiert je nach Schweregrad der Erkrankung; sie beträgt 20/200 oder weniger bei vollständiger Achromatopsie und kann bei unvollständiger Achromatopsie bis zu 20/80 erreichen. Die Sehschärfe ist normalerweise im Laufe der Zeit stabil; sowohl der Nystagmus als auch die Empfindlichkeit gegenüber hellem Licht können sich leicht verbessern. Achromatopsie wird autosomal-rezessiv vererbt. Mutationen, die eine Achromatopsie verursachen, führen zu einer Unterbrechung der Signalkaskade der Fototransduktion. Während die Sehpigmente vorhanden sein und Licht absorbieren können, sind die Zapfen jedoch nicht in der Lage, das Signal an das Gehirn zu senden und sind daher alle nicht-funktionsfähig (rot, grün und blau). Die Identifizierung bialleler pathogener Varianten in ATF6, CNGA3, CNGB3, GNAT2, PDE6C oder PDE6H bestätigt die klinische Diagnose.

Was passiert bei Menschen mit BCM?

Bei Menschen mit Blauzapfen-Monochromasie (BCM) fehlen die mittellangwelligen (Grün) und langwelligen (Rot) Opsine, was die Fähigkeit der Netzhaut einschränkt, Licht nur auf den Stäbchen und blauen Zapfen zu erfassen. Klinische Studien zeigten, dass L- /M-Prüfreize bei einer Standardhintergrundbeleuchtung vom Stäbchensystem erkannt werden; Prüfreize mit kürzerer Wellenlänge wurden – je nach Netzhautposition und Patient – vom S-Zapfensystem (blau) oder vom Stäbchensystem erfasst. Die Standardhintergrundbeleuchtung entspricht der Leuchtdichte eines weißen Blattes Papier bei normaler Innenbeleuchtung und überraschenderweise konnte festgestellt werden, dass bei Blauzapfen-Monochromasie-Patienten das Nachtsehvermögen unter Tageslichtbedingungen erhalten bleibt. Dasselbe gilt für aus einer Mischung aus rotem, grünem und blauem Licht bestehendes weißes Licht. 

Da nur die Blauzapfen und Stäbchen funktionieren, haben BCM-Patienten eine verminderte Detailwahrnehmung (schlechte Sehschärfe) und Schwierigkeiten oder sind unfähig, Farben effektiv zu erkennen. Normalerweise können Personen mit BCM nur die obersten 1 bis 4 Zeilen eines Sehtests mit bestmöglicher Brillenkorrektur, d. h. zwischen 20/200 und 60, lesen.

Bei Menschen mit BCM ist die Farbwahrnehmung stark beeinträchtigt. Unten ein Bild von Dean Monthei, einem Mitglied der BCM Families Foundation, das den Unterschied zwischen der Farbwahrnehmung einer Person mit normalem Sehvermögen und jener einer von BCM betroffenen Person zeigt:

 
Foto mit freundlicher Genehmigung von Dean Monthei

Demo-Brillen wurden entwickelt, die durch das Blockieren von rotem Licht die Farbwahrnehmung von Blauzapfen-Monochromasie und eine schlechte Sehschärfe simulieren.

Der untere Balken zeigt das vollständige Farbspektrum von Blau, Grün und Rot. Die untere Hälfte ist die normale Farbwahrnehmung, die obere zeigt das, was eine Person mit BCM sieht.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Dean Monthei

Für mehrere Mitglieder der BCM Families Foundation Community sehen die obere und untere Hälfte der Farbbalken identisch aus.
Das folgende Bild zeigt links kontrastierendes Weiß auf Gelb, das normalsehende Personen nicht sehr gut sehen können, während es für Personen mit BCM leicht zu lesen ist. Auf der rechten Seite befindet sich hingegen kontrastierendes Weiß auf Hellblau, das Personen mit BCM nicht lesen können. Die Ergebnisse können je nach Person und/oder verwendetem Display variieren.

Behandlung

Derzeit ist keine heilende Therapie für Farbsehschwäche bekannt. Eine bahnbrechende Studie, die von den Sehforschern Jay Neitz und Maureen Neitz an der University of Washington geleitet wurde, machte jedoch einen bedeutenden Schritt nach vorne in der Forschung zu Farbsehschwächen. Die Studie war auf Rot-Grün-Farbenblindheit fokussiert und nutzte Eichhörnchen-Affen als Modelle. Die Forscher führten ein korrektives Gen in die Netzhaut farbenblinder Individuen ein. Dieser bahnbrechende Ansatz führte zur Wiederherstellung der Rot-Grün-Wahrnehmung bei zuvor farbenblinden Eichhörnchen-Affen. Trotz dieses vielversprechenden Fortschritts sind zusätzliche Forschungsarbeiten erforderlich, um die langfristige Sicherheit, Wirksamkeit und Eignung der Gentherapie zur Behandlung von Farbsehschwäche beim Menschen zu bewerten, bevor sie in klinische Anwendungen umgesetzt werden kann.

Ein Eichhörnchen-Affe, Dalton, der wegen Rot-Grün-Farbenblindheit behandelt wurde
http://www.neitzvision.com/test/research/gene-therapy/

Externe Ressourcen:

Verweise:

  1. Deeb S S, (2005). „The molecular basis of variation in human color vision“. Clin. Genet. 67 (5): 369-377. DOI: 10.1111/j.1399-0004.2004.00343.x
  2. Mancuso K, Hauswirth W W, Li Q, Connor T B, Kuchenbecker J A, Mauck M C, Neitz J, Neitz M, (2009) “Gene therapy for red-green colour blindness in adult primates”. Nature (2009) 461:784-787. PMID: 19759534.
  3. Mancuso K, Mauck M C, Kuchenbecker J A, Neitz M, and Neitz J, (2010) “A Multi-Stage Color Model Revisited: Implications for a Gene Therapy Cure for Red-Green Colorblindness’2 (2010) R.E. Anderson et al. (eds.), Retinal Degenerative Diseases, Advances in Experimental Medicine and Biology 664. PMID: 20238067.
  4. Mascio A A, Roman A J, Cideciyan A V, Sheplock R, Wu V, Garafalo A V, Sumaroka A, Pirkle S, Kohl S, Wissinger B, Jacobson S G and Barbur J L, (2023) “Color vision in blue cone monochromacy: outcome measures for a clinical trial” Transl Vis Sci Techno 2023 Jan 3;12(1):25 DOI: 10.1167/tvst.12.1.25
  5. Nathans, J (1987). „Molecular biology of visual pigments“. Annu. Rev. Neurosci 10: 163-194. PMID 3551758.
  6. Nathans, J (1999). „The evolution and physiology of human color vision: insights from molecular genetic studies of visual pigments“. 24 (2): 299-312. PMID 10571225
  7. Nathans J, Piantanida T P, Eddy R L, Shows T B, Hogness D S, (1986). „Molecular genetics of inherited variation in human color vision“. Science 232 (4747): 203-210. PMID 3485310.
  8. Nathans J, Thomas D, Hogness D S, (1986). „Molecular genetics of human color vision: the genes encoding blue, green, and red pigments“. Science 232 (4747): 193-202. PMID 2937147
  9. Neitz J, Neitz M, (2011). „The genetics of normal and defective color vision“. Vision Res. 51 (7): 633–651. doi:1016/j.visres.2010.12.002
  10. Neitz M, (2000). „Molecular Genetics of Color Vision and Color Vision Defects“. Archives of Ophthalmology. 118 (5): 691–700. doi:1001/archopht.118.5.691
  11. Kohl S, Jägle H, Wissinger B, et al. Achromatopsia. 2004 Jun 24 [Updated 2018 Sep 20]. In: Adam MP, Feldman J, Mirzaa GM, et al., editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993-2024. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK1418/